Thursday, 24 January 2013

Transhumanismus Die Tiefkühlreligion
Transhumanisten verstehen sich als die Avantgarde der technisierten Gesellschaft. Sie glauben, dass sich der Mensch mit Hirnimplantaten und Gendoping optimieren ließe, und freuen sich auf ihr Leben nach dem Tod
Stelios Arcadiou hat sich ein drittes Ohr wachsen lassen. Es ist eine auf ein Viertel verkleinerte Kopie seines linken Ohrs, gewachsen aus menschlichen Zellen im Bioreaktor. Dieses Ohr, gezüchtet aus seinen eigenen Zellen, möchte er sich nun auf seinen Unterarm operieren lassen. In einer Videoanimation zeigt er, wie das aussehen würde. Zu seinem Bedauern hat er noch niemanden gefunden, der diese Operation an ihm vornehmen will.
Arcadiou nennt sich Stelarc. Sein Kunstprojekt ist die technische Erweiterung und Umgestaltung seines Körpers. »The body is obsolete!«,postuliert er auf seiner Homepage. Bei einem Auftritt im August im kanadischen Toronto muss er dem Publikum sein Anliegen nicht erklären. Es ist die Abendveranstaltung der Transvision 2004. Im McLeod-Auditorium der Universität von Toronto sitzen Menschen, die sich selbst für »morphologische Freiheit« einsetzen. Sie nennen sich Transhumanisten, und eine ihrer zentralen Forderungen ist die Freiheit, den eigenen Körper mit allen verfügbaren Mitteln so zu gestalten, wie es ihnen passt. Wenn es möglich werde, sich gentechnisch mit grüner Haut oder drei Armen auszustatten, dann sei das niemandem zu verwehren.
»Lebe schnell, und stirb nie!« könnte der Slogan dieser Bewegung sein. Ganz oben auf der Wunschliste steht ein Mittel gegen das Altern. Wird die Lebenserwartung radikal verlängert, dann hat man genug Zeit, um von all den neuen Techniken zu profitieren. Die gewonnene Lebenszeit soll keine langweilige Fortsetzung der bisherigen Existenz sein. Alle paar Jahre könnte man je nach Mode die Hautfarbe und auch das Geschlecht ändern oder gar neue Geschlechter erfinden. Vielleicht ist dazu nicht einmal ein materieller Umbau der Körper nötig, sondern nur ein Hirnimplantat, das die transhumanen Subjekte direkt an eine kollektiv gestaltete Cyberwelt anschließt.
Andere, wie der Computerneurologe Anders Sandberg, Gründer der schwedischen Sektion der World Transhumanist Association (WTA), träumen ohnehin mehr von Techniken, um das Gehirn aufzurüsten. Sandberg beschreibt den Ausgangspunkt des Transhumanismus so: »Wir sind klug genug, um zu merken, dass wir dumm sind. Aber wir sind so dumm, dass es uns schwer fällt, klüger zu werden.« Als Lieblingserweiterung seines Körpers nennt er »Google im Hirn«. Das wäre freilich nur ein erster Schritt. Denn die Entwicklung, da sind Transhumanisten überzeugt, wird den Menschen technisch, pharmakologisch und durch gezielte Gentechnik so verändern, dass der Begriff Mensch nicht mehr angemessen sein wird. Dann entsteht eine neue Spezies: die Posthumanen.
Was ist gegen den Einsatz von Doping denn schon einzuwenden?
Die Transhumanisten sind längst mehr als eine kleine Gruppe technophiler Utopisten, als die sie vor 20 Jahren begannen. Zwar nennt sich immer noch eine kleine Minderheit so, aber diese findet sich als radikaler Pol in einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung wieder, die mit dem technischen Fortschritt, etwa in der Gentechnik, an Brisanz gewinnt. Mit dem Klonen menschlicher Embryonen in Korea Anfang des Jahres und der Erlaubnis für britische Forscher, Stammzellen aus geklonten Embryonen zu gewinnen, rücken Teile ihrer Utopien näher.
Gleichzeitig gehen transhumanistische Argumente in die Gesellschaft ein. Im vergangenen Jahr veröffentlichte etwa die National Science Foundation den Report Converging Technologies for Improving Human Performance, zu Deutsch: »Technisches Zusammenspiel zur Steigerung menschlicher Leistung«. Über weite Strecken liest sich der Text wie ein transhumanistisches Forschungsprogramm. Ein anderes Beispiel lieferte derEconomist in einem Leitartikel zu den Olympischen Spielen. Er spießt die »zunehmend intolerante Haltung gegenüber Doping« auf. Dies sei unzeitgemäß in einer Gesellschaft, die immer mehr leistungssteigernde Drogen nutze. Gegen verantwortungsbewussten Umgang mit Doping sei nichts einzuwenden, zumal »Gen-Doping«, also gentechnische Verbesserung von Sportlern, höhere Leistungen ohne Nebenwirkungen verspreche.
Solches erfreut die 1998 gegründete WTA, die ihrerseits dem Sektenimage zu entkommen sucht. So glich die Transvision 2004 über weite Strecken einer akademischen Veranstaltung. Fast ebenso viel Raum wie die Verheißungen künftiger Technik nahm die Diskussion möglicher Gefahren ein. Auch wenn die Fragen, die sich eingefleischte Transhumanisten stellen, für Normalbürger etwas aus der Luft gegriffen scheinen: etwa welche Probleme auf eine Demokratie zukommen, in der mit menschlichen Genen aufgerüstete Schimpansen und intelligente Roboter Bürgerrechte fordern.

James Hughes, geschäftsführender Direktor der WTA und Hochschullehrer für Gesundheitspolitik und Bioethik in Connecticut, denkt viel über solche Fragen nach. Er vertritt eine fast sozialistische Variante des Transhumanismus. Jeder müsse die Chance haben, sich in ein posthumanes Wesen zu transformieren. Er fordert die Bezahlung leistungssteigernder, lebensverlängernder Behandlungen durch ein öffentliches Gesundheitssystem und Technologietransfer in die Dritte Welt.
»Humanize Transhumanism«,lautet sein Panier. Hughes verfolgt dabei ein persönliches Anliegen. Er möchte seine Frau, die zum ersten Mal eine Transvision besucht, überreden, sich nach ihrem Tod tiefkühlen zu lassen. Den Service offeriert die Firma Alcor in Scottsdale, Arizona. 120000 Dollar kostet die kryonische Aufbewahrung des ganzen Körpers. Wer an die Rekonstruktion des Körpers mit künftiger Gentechnik oder an das Überspielen des Bewusstseins in künftige Supercomputer glaubt, kommt billiger weg: Haltbarmachen des Gehirns bis zur Wiederbelebung kostet nur 50000 Dollar.
Um skeptische Noch-Menschen von ihren lauteren Absichten zu überzeugen, sprechen die Propheten nicht nur von möglichen Risiken der gepriesenen Techniken. Zum Auftakt der Konferenz hatten sich die Veranstalter dieses Mal sogar vorgenommen, einen Dialog mit der Religion zu beginnen – eine strategisch wichtige Frage, wie James Hughes erklärte. Schließlich komme der größte Widerstand, etwa gegen die Stammzellforschung, aus dem christlichen Lager. Für das Symposium Glaube, Transhumanismus und Hoffnung fand sich tatsächlich ein transhumanistischer Katholik. Tihamer Toth-Fejel durfte in Toronto seine eigenwillige Lehre vorstellen.
Die Titelfrage seines Referats Ist ein katholischer Transhumanismus möglich? beantwortet er für sich mit ja. Einen Bestand an nicht beweisbaren Glaubenssätzen habe jeder, schon weil unsere Zeit und Fähigkeiten nicht ausreichten, alles zu beweisen. Die katholische Religion bevorzuge die Vernunft vor blindem Glauben. Und Gott gebe dem Menschen geradezu den Auftrag, als Mitschöpfer zu wirken. Nur mit der Verwertung embryonaler Stammzellen hat Toth-Fejel ein Problem – aber wozu gibt es adulte Stammzellen?
Gegen die Weiterentwicklung menschlicher Fähigkeiten durch Technik oder radikale Lebensverlängerung hat er nichts einzuwenden. So sei eine technische oder genetische Weiterentwicklung des Auges zum Nachtsichtgerät eine feine Sache. Es komme lediglich darauf an, nicht auf jene herabzuschauen, die immer noch Brillen trügen. »Wir müssen nicht nur die Fähigkeiten der Leute verbessern, sondern auch ihren Charakter.« Gott stehe für Sein, Liebe und Wahrheit. Folglich gelte es, das Leben (Sein) mittels Wissenschaft (Wahrheit) zu verlängern und mit Liebe zu erfüllen. So schillernd wie seine theologisch-philosophischen Ausführungen ist auch Toth-Fejels Lebenslauf: Er war Ringmeister und Mitglied der US-Olympiamannschaft, ist Elektroingenieur, lehrt Technologie und Ethik an der Universität Notre Dame in Indiana und erforscht für die Nasa die Möglichkeit sich selbst vermehrender Nanomaschinen.
Vielleicht gibt ein solcher Lebenslauf auch nur einen müden Vorgeschmack auf das Leben unserer Nachfolger in der Evolution: Die Eltern wählen bei der Genprüfung einen Embryo mit den Anlagen eines Spitzensportlers. Der erzielt mit hoch entwickelten Dopingpräparaten dann ungeahnte Spitzenleistungen. Nach, sagen wir, 30 Jahren wird das Sportlerleben zu langweilig, und er entscheidet sich für eine Forscherkarriere. Der Speicher seines Gehirns wird durch Implantate aufgerüstet und der Motivationshaushalt hormonell auf radikale Wahrheitssuche getrimmt. Dank der Langlebigkeit bieten 100-jährige Forschungsprojekte ungeahnte Herausforderungen. Doch auch die spannendste Forschung verliert auf Dauer ihren Reiz, und die Ausrichtung des Charakters auf Rationalität behindert spirituelle Erfahrungen. Warum sich nicht auch als posthumaner Mystiker versuchen? Eine Stammzelltherapie erweitert das Hirnzentrum für religiöse Erlebnisse, und einige stimulierende Psychopharmaka eröffnen einst für unmöglich gehaltene Meditationserlebnisse.
Ein solcher Lebenslauf ist für einen Transhumanisten etwas holzschnittartig, aber nicht ganz übertrieben. So stellte Hughes, ein ehemaliger buddhistischer Mönch, auf der Konferenz seine Vision eines pharmazeutischen Buddhismus vor. Vielleicht könnten die Tugenden, die der Buddhismus durch Meditation erreichen will, durch entsprechende Medikation oder Gentherapie effektiver und müheloser zugänglich werden. Entsprechende Ansätze gebe es ja schon. Etwa bei der Behandlung von Depression mit Psychopharmaka oder die Testosteronblocker bei Sexualstraftätern.

Warum sollten solche persönlichkeitsändernden Behandlungen nur in Extremfällen eingesetzt werden?, fragt Hughes, zumal künftige Medikamente immer zielgenauer und nebenwirkungsärmer würden. Spirituelle Erlebnisse hätten demnach ihren Platz unter vielen mit der richtigen Technik perfektionierbaren Bedürfnisbefriedigungen. Offenbar kann das Gehirn eine verstärkte Empfänglichkeit für religiöse Erfahrungen entwickeln, warum sollte man dem nicht pharmazeutisch-technisch nachhelfen?
Die meisten Theologen werden sich mit solch pragmatischer Haltung kaum anfreunden. Aber auch hier knüpfen die Transhumanisten an die Forschungen an. So genannte Neurotheologen suchen seit einigen Jahren nach dem Sitz des religiösen Empfindens im Hirn und haben schon herausgefunden, dass bei spirituellen Erfahrungen der linke Schläfenlappen besonders aktiv ist. Dieser Hirnbereich wurde daraufhin »Gottesmodul« getauft.
In 25 Jahren gehört die Krankheit Altern der Vergangenheit an
Wirkliche Begeisterung weckten die Reden von Risiken, spirituellen Erfahrungen und Tugenden bei den meisten der gut 100 nach Toronto gereisten Transhumanisten jedoch nicht. »Sicher geht es darum, die Bewegung zu verbreitern«, meint der aus Bonn angereiste Mathematikstudent Torsten Nahm. »Aber im Grunde sind wir mehr die Geeks, die sich für die Technik begeistern.« Ihn fasziniert etwa die Vorstellung, dereinst zu anderen Planetensystemen zu fliegen. Die radikale Lebensverlängerung soll es möglich machen. Ganz nach Nahms Geschmack war da der Vortrag des Biogerontologen Aubrey de Grey von der Universität Cambridge. Er ging die neuesten Ergebnisse der Altersforschung durch. Und siehe da, es eröffnen sich neue Perspektiven. De Grey – sein langes ergrauendes Haar zum Pferdeschwanz gebunden, sein Bart reicht bis zum Bauchnabel – ist um wissenschaftliche Diktion bemüht. Doch bei aller Vorsicht wagt er eine Prognose: »Die Chancen stehen 50 zu 50, dass wir in 25 Jahren das Altern heilen können.« Ein Aufatmen geht durch die Reihen.
Am nächsten Morgen spricht Max More. Vorgestellt wird der sportliche 40-Jährige als Chefphilosoph des Transhumanismus. Auch ihn beschäftigt das Akzeptanzproblem der Bewegung. Gegen die technische Verbesserung des Menschen sprächen keine rationalen Argumente. Doch die Menschen hielten an ihrer verbesserungsbedürftigen Biologie fest. Warum? Sie fühlen sich in ihrer Identität angegriffen. »Es ist, als würden sie trotzig sagen: Ich bin weiß und bleibe weiß! Ich bin hetero und bleibe hetero! Ich bin Mensch und bleibe Mensch!« Er beruft sich auf psychologische Literatur und nennt dieses Phänomen »die Zähigkeit identitätsbasierter Urteile«. Aber warum sich mit den Widerständen befassen? Die technischen Möglichkeiten werden ohnehin kommen. Warum also verstockten Menschen die ungeheuren Möglichkeiten einer posthumanen Zukunft nahe bringen? Es ist die Angst, Technikfeinde könnten die Entwicklung gefährlich verzögern. Und so schließt Max More seinen Vortrag: »Wenn wir den Prozess nicht beschleunigen, dann sind wir alle tot!«
Doch im Publikum weiß man auch für diesen Fall Rat. »Wie viele haben schon einen Kryonik-Vertrag?«, fragt einer. 15 Hände gehen hoch, die Armkettchen rutschen auf den Unterarm, darauf eingraviert die Telefonnummer des Kryonik-Unternehmens, das bei unerwartetem Ableben sofort zu informieren ist. »Und wie viele denken ernsthaft darüber nach, sich tiefkühlen zu lassen?« Die restlichen 70 melden sich. »Was zögert ihr? Wendet euch an diesen Mann!« Rudi Hoffmann steht auf und winkt mit Vertragsformularen. So bestätigte sich, was der Philosoph Patrick Hopkins zu Beginn der Veranstaltung feststellte: Die meisten Transhumanisten verstehen sich zwar als Atheisten. Ihre Weltanschauung hat aber viele Gemeinsamkeiten mit dem Glauben. Nicht zuletzt das Versprechen auf ein Leben nach dem Tod.

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